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Pacificare - Episode 3: Eine Nacht - und Nebelaktion

"Pacificare" spielt im Jahr 1212, zur Zeit des Hochmittelalters...

Staffel 1 - Episode 3: Eine Nacht - und Nebelaktion

Es wurde Nacht in Xenos und Gabriella saß grübelnd vor Serafinas Hütte und dachte darüber nach, was sie zu ihr gesagt hatte. Ihre Töchter könnten morgen Mittag tot sein. Sie wussten nicht, ob es sich wirklich um sie handelte, aber wenn es so war, konnte man sie doch nicht sterben lassen? Die Könige von Xenos und Tinnos hatten allerdings keine Skrupel und schon gar nicht bei Frauen, die sich illegal in den Städten aufhielten. Warum mussten sich ihre Töchter aber auch ausgerechnet zwei Obervasallen als ihre zukünftigen Ehemänner aussuchen? Diese arbeiteten Hand in Hand mit den Königen und hatten sie vielleicht sogar selbst verraten. Was in Tinnos, in der Nachbarstadt von Xenos, geschah, erfuhr hier oft niemand. Man müsste den König von Xenos danach fragen, aber das traute sich Gabriella nicht. Und selbst wenn, war dieser sicherlich schon unterwegs nach Tinnos, um dort die zwei Gefangenen zu begutachten. Oft stellten sie scheußliche Dinge mit Gefangenen an, bevor sie sie aufhingen. Gabriella glaubte aber selbst an das Gute in den zwei Königen, denn auch sie mussten ein Herz haben. Dieses war laut Serafina aber schon lange nicht mehr vorhanden. Man würde keine Ausnahme machen, schon gar nicht bei zwei Frauen. Bauern waren Freiwild, mit ihnen machten die Könige, was sie wollten. Sie schlugen sie, peitschten sie aus, zogen ihnen die Fingernägel aus den Kuppen oder fesselten sie bei klirrender Kälte an ein Faß auf dem Marktplatz. Viele erfroren dabei über Nacht und man begoß die Leichen am Tag darauf mit Gelächter oder warf Abfälle über ihre Körper. Gabriella wollte nicht auch so enden. Doch die Chance war groß, dass sie genau das tat, wenn sie heute Abend mit Serafina rüber nach Tinnos floh und dort versuchte, vermutlich vergebens, ihre beiden Töchter zu befreien. Wohin mit ihnen? Sie ebenfalls in Xenos verstecken? Sobald man herausfand, dass sie weg waren, würde man sicherlich zuerst in Xenos suchen. Oder würde man denken, sie seien geflohen? Jedenfalls stand ja nicht einmal wirklich fest, dass es ihre beiden Töchter waren, die am Mittag in Tinnos aufgespürt wurden. Vermutlich gab es in Tinnos viele Winkel und Ecken, in denen heimlich Arme und Kranke Unterschlupf suchten. Viele kamen nur bei Nacht heraus und ließen sich tagsüber nicht blicken. Vielleicht war es auch so in Xenos? Vielleicht hatte jemand von diesen armen Kreaturen den Fluchtweg nahe Serafinas Haus ausgehoben. Nachts hatte man einen sicheren Platz zum Schlafen und tagsüber konnte man in aller Früh die Stadt so verlassen, dass man nicht gesehen wurde. Doch Gabriella wurde kurz darauf aus ihren Gedanken gerissen, denn Serafina saß vor ihr in der Hocke und schnipste mit den Fingern. Sie beruhigte Gabriella abermals und sagte ihr eingehend, dass sie ihr niemals folgen darf. Egal was auch passiert, sie kommt zu ihr zurück nach Xenos. Sobald die ersten Sonnenstrahlen am Morgen den Tag erhellen, werde Serafina wieder in ihrem Haus sitzen und so tun, als wäre sie niemals weg gewesen. Gabriella schaute sie eindringlich an. Ich will dich nicht verlieren, denn ohne dich ertrage ich diese Welt nicht. Daraufhin gab Serafina ihr einen Kuss und drückte sie noch einmal fest an sich. Sie war eine starke Frau und zu allem bereit. Niemand konnte ihr wirklich Angst machen und auch aus dieser Misere würde sie irgendwie wieder herausfinden. Also schlich sich Serafina kurz darauf Richtung westlicher Seite der Stadtmauer und verschwand plötzlich wie vom Erdboden. Wo dieser Ausgang war, wollte Gabriella überhaupt nicht wissen. Aber irgendwo an der Westmauer musste er sein. Nur für den Notfall. Nur für den Fall, dass sie ihn doch einmal brauchte. Sie fühlte sich schuldig, nicht mitgegangen zu sein. Auch ihre Tochter war in Lebensgefahr. Aber beide wussten genau, dass es nur Serafina fertig bringen würde, ihre Töchter auch wirklich zu bergen. Gabriella saß wohl noch einige Minuten auf dem kalten Novemberboden und ging dann in ihr Haus zum Schlafen. Sie betete für Serafina und für ihre Töchter. Sie betete zu Gott. Lass uns heute Nacht nicht im Stich.

Serafina war schon ewig nicht mehr außerhalb der Stadttore gewesen und kannte sich hier so gut wie gar nicht aus. Sie wusste aber genau, in welche Richtung die Stadt Tinnos lag und wo ihre Töchter vermutlich verzweifelt auf Rettung warteten. Aber Moment. War sie doch zu voreilig gewesen? Was würde sie tun, wenn sie an Tinnos ankam? Nachts waren die Stadttore zu und die Stadtmauern bewacht. Man konnte nicht einfach hineinspazieren und jemanden heraus schmuggeln. Darüber hatte sich Serafina keine Gedanken gemacht, aber das unterschied sie eben von Gabriella. Sie machte sich die Gedanken erst, wenn sie sie brauchte. Nach einem recht hügeligen und steilen Fußmarsch konnte Serafina die Stadt Tinnos bald im Schwarz der Nacht erkennen. Fackeln waren entlang der gesamten Stadtmauer entzündet. Auch das vordere Stadttor war gut zu erkennen, da es von zwei Wachmänner bewacht wurde. Einen richtigen Plan hatte Serafina auch nicht, das wurde ihr hier und jetzt erst bewusst. Was also tun, wenn sie am Stadttor angelangt war? Man würde sie sicherlich nicht einfach passieren lassen und Antworten bekäme sie ohne Gewalt ebenso wenig. Serafina war als Frau ziemlich muskulös und stark in den Armen. Mit ihr konnte ein Mann echt Probleme bekommen, wenn sie es darauf anlag. Sie war vielen ein Dorn im Auge, andere sahen sie argwöhnig an, fanden sie grotesk, unweiblich oder sonderbar. Auch ihr Fable für Leder stieß den meisten Dorfbewohnern sauer auf. Sowas trug man nicht als Frau, es schickte sich einfach nicht. Doch in einem weißen Leinengewand, wie es Gabriella immer trug, fühlte sie sich nicht wohl. Sie war eben nicht sanft und geschmeidig, sondern klobig und ungezähmt. Als sie den Wachen immer näher kam, sah sie die einzige Lösung darin, diese beiden Wachen "schlafen" zu legen. Das Stadttor konnte mit einer Art Werkzeug von außen geöffnet werden. Dieses trug einer der beiden Wachen sicherlich bei sich. Es kam nur noch darauf an, in der Dunkelheit der Nacht auf leisen Sohlen so nah wie möglich heranzukommen, ohne dabei gesehen zu werden. Wie gut, dass Serafina diesbezüglich in schwarzer Tracht immer günstig gekleidet war. Sie konnte man in der Dunkelheit so gut wie nicht erkennen. Von ihrer Mutter hatte Serafina gelernt, wie man schleicht und Wachen umgeht. Sie war eine bekannte Diebin, hatte Serafina allerdings als Baby im Fluss ausgesetzt und gehofft, dass sie jemand findet und großzieht. Mutterliebe war ebenso wenig ihr Ding wie ehrliche Geschäfte oder die Wahrheit zu sagen. Serafina dachte oft an ihre Mutter und an das, was sie von ihr hatte, aber sie glich ihr vermutlich wenig, denn ihre Mutter war klein und dünn gewesen. Serafina war groß und drahtig. Nahe der Stadttore angekommen, wartete Serafina den richtigen Moment ab. Wurde sie aus Notwehr dazu gezwungen, einen Menschen zu töten, nahm sie dies in Kauf. Gabriella verachtete sie dafür eine ganze Weile, weil sie einen Menschen, der tötet, für unrein hält. Doch in Serafina sah Gabriella soviel mehr, dass sie das in Kauf nahm. Ihre Freundschaft war größer als jede Überzeugung der Welt. Eigentlich war der richtige Moment schon mehrmals gekommen, aber Serafina wartete immer noch ab. Irgendwie kam sie nicht vom Fleck und schaute sich ungewohnt lange und ausgiebig um. Warum sie nicht schon längst losgerannt war, wusste sie selbst nicht mehr, aber plötzlich durchbohrte sie ein stechender Schmerz im Bein. Sie hielt ihr Bein mit beiden Händen fest und schaute darauf, als ob sie das Bein in der Dunkelheit sehen könnte. Sie roch Blut. Der Schmerz war kaum mehr auszuhalten. Sie spürte einen Stab darin, etwas aus Holz. Ein Pfeil hatte ihr Bein getroffen. Irgendjemand hatte sie gesehen. Jemand auf der Mauer oben. Sie konnte dort niemanden stehen sehen oder erkennen. Ein allgemeines Murmeln war allerdings deutlich zu hören. Am Stadttor waren mehrere Wachen zusammengekommen und sprachen miteinander. Alles wirkte hektisch und aufgeregt. Serafina war klar, dass sie gesehen worden war und man jetzt sofort nach ihr suchen würde. Sie hatte maximal noch einige Sekunden, bis man sie hier aufspürte. Sie dachte an Gabriella. Vielleicht wäre sie besser in Xenos geblieben und hätte nicht schon wieder versucht, eine spontane und fixe Idee umzusetzen. Sie musste hier weg. Schnell. Schnell. Mit dem Pfeil im Bein zu laufen war ihr fast unmöglich. Es tat schrecklich weh. Sie unterdrückte die Schmerzensschreie und setzte einen Fuß vor den nächsten. Hinter ihr war Aufruhr zu vernehmen. Man suchte sie bereits. Irgendwo musste sie doch sein. Doch Serafina wusste irgendwann nicht mehr, wo sie selbst war. Es war kalt und es war dunkel. Ihre Spur hatte man verloren, aber sie konnte nicht mehr sagen, wo sie gerade war. Der Schmerz betäubte sie, ihr wurde schwindelig und sie fiel zu Boden. Dabei musste sie doch bei den ersten Sonnenstrahlen wieder in Xenos sein. Ihr Fehlen würde sofort auffallen und Konsequenzen bedeuten. Nicht nur für sie, sondern auch für Gabriella. Man würde sie fragen, wohin Serafina gegangen ist und wo sie sich versteckt. Gabriella wird aus tiefster Freundschaft jede Schläge und jede Brutalität über sich ergehen lassen und nichts verraten. Diese Vorstellung ließ sie ohnmächtig werden. Sie lag irgendwo auf kalter, nasser Erde. Ihr Bein schmerzte fürchterlich. Die Stadt Tinnos war nicht mehr zu sehen. Xenos ebenso wenig. Und die ersten Sonnenstrahlen kamen bereits zum Vorschein, als Serafina aufwachte und ihren Augen nicht traute.

Fortsetzung Folgt!!

Euer Seralgo Refenoir :D















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Geschrieben von SeralgoRefenoir [Profil] am 14.11.2017

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Tags (Schlagwörter):

Pacificare, Mittelalter, Serafina, Gabriella

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Kommentare und Punkte zu diesem Gedicht

 Angélique Duvier 14.11.2017, 22:04:06  
Avatar Angélique DuvierFünf Sterne für deine gelungene Prosageschichte! Herzliche Grüße, Angélique

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