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Von Raben und anderen schwarzen Gestalten - Kapitel 1: Nimmer

Und trotz meiner Trauer brachte er dahin mich, daß ich lachte,
So gesetzt und gravitätisch herrscht’ auf meiner Büste er.

„Ob auch alt und nah dem Grabe,“ sprach ich, „bist kein feiger Knabe,

Grimmer, glattgeschor’ner Rabe, der Du kamst vom Schattenheer –
Sprich, welch’ stolzen Namen führst Du in der Nacht pluton’schem Heer?“
Sprach der Rabe: „Nimmermehr.“

- aus Edgar Allan Poes „The Raven“ (Übersetzung nach Eben)

 


Eriks Klassenkameraden applaudierten. Sie hatten im Deutschunterricht die Aufgabe bekommen, sich ein beliebiges Gedicht auszusuchen, eine ansprechende Betonung zu üben und es dann der Klasse vorzutragen. Er wollte zuerst „The Raven“ von Edgar Allan Poe vortragen, fragte seine Deutschlehrerin, die auch gleichzeitig seine Tante war, dann aber, ob er auch ein eigenes Gedicht vortragen dürfe. Sie willigte ein.

 

Der Applaus überraschte Erik nicht. Er bekam von vielen Leuten immer wieder positive Bewertungen für seine Gedichte und wusste ob seiner rhetorischen Fähigkeiten. Bei solchen Momenten freute er sich immer, in der Klasse zu sein, in der er war. Erik zog mit seinen Freunden immer wieder über die Parallelklasse her.

So auch in der ersten großen Pause.

 

„In der Parallelklasse hätten sie dich fertig gemacht. Die kommen mit Talent nicht klar“, meldete sich Phil, Eriks bester menschlicher Freund, mit einem Lachen zu Wort.

„Ja, das übelste Gesocks in der Klasse. So viel Ignoranz und Intoleranz gehört an die Wand gestellt und erschossen! Dumm wie drei Meter Feldweg, die Idioten!“

„Da ham se Recht, Herr Kollege“, erwiderte Phil, immer noch lachend.

 

„KRAH!!“

„Sogar deine Raben stimmen dir zu!“

„Ich sag’s dir nochmal: Der einzige Rabe aus dem Schwarm, von dem man sagen könnte, dass er „mir gehört“ ist Nimmer!“

 

Erik hatte vor zwei Jahren ein Rabenküken gefunden und großgezogen. Irgendwann kam ihm seine Mutter auf die Schliche und verbot ihm die weitere Aufzucht. Er päppelte den Raben weiter auf – heimlich – bis er groß genug war, um alleine klar zu kommen. Er ließ den Raben frei und fand ihn zwei Monate später mit einem Schwarm anderer Raben auf einem Baum vor seinem Zimmer sitzen. Seit dem war der Schwarm immer an seiner Seite. Den Raben, den er aufgezogen hatte nannte er Nimmer, als Hommage an „The Raven“, in dem das einzige Wort, zu dem der Rabe fähig ist, das Wort „Nimmermehr“ (im Original „Nevermore“) ist. Damals war Erik 16 Jahre alt gewesen.

 

Der weitere Unterricht lief für Erik relativ unspektakulär ab, wenn man davon absah, dass sich einige Lehrer wieder bei Erik über die Raben beschwerten, die ab und zu ein lautes „Kräh!“ von sich gaben. Erik schaffte es wie immer die Lehrer damit zu vertrösten, dass die Raben wenigstens nicht in der Klasse umherflögen.

 

Auf dem Weg zur Bushaltestelle liefen ihm einige seiner Mitschüler seiner Parallelklasse über den Weg.

„Scheiß Emo!“, schrien sie ihm wie immer hinterher.

„Scheiß asoziales Pack!“, antwortete er. Ebenfalls wie immer.

Es blieb jedes Mal bei diesem Wortwechsel, da seine Mitschüler wussten, dass die Raben immer in seiner Nähe waren. Und Erik wollte nicht unbedingt herausfinden wer stärker war: er und die gut zwanzig Raben oder seine sechs Mitschüler.

 

Die Busfahrt nach Hause war für Erik wieder mehr als nervig. Sein Motorrad war in der Werkstatt und so musste er auf öffentliche Verkehrsmittel zurückgreifen, wenn er nicht laufen wollte.

Nur hatte er Probleme mit „Ansammlungen von fremden Menschen auf engem Raum“, wie er selbst immer wieder sagte, was die Busfahrt schwierig gestaltete. In der Stadt konnte er ihren Blicken aus dem Weg gehen, im Bus war dies jedoch unmöglich.

Gut, mein Auftreten ist vielleicht etwas auffällig: Nietengürtel, schwarze Röhrenjeans, schwarz gefärbte Haare, Nietenarmband und Metallica-Shirt. Aber deshalb muss man mich doch nicht so anstarren!

 

„Was klotztn so blöd?! Bin ichn Kino oder was?!“

Er fuhr den Jugendlichen an, der vor ihm stand. Sein bohrender Blick nervte ihn von all den Blicken am meisten. Nun schauten die Leute natürlich erst recht.

„Hey, ich wollte eure sinnbefreiten Gedankengänge nicht unterbrechen“, sagte er mit einer Spur von verachtendem Sarkasmus in der Stimme. Als die Menschen nicht die gewünschte Reaktion zeigten, fügte er gereizt hinzu: „Ihr könnt wieder weggucken!“

 

Die hintere Tür des Busses öffnete sich und eine ältere Dame stieg aus, die ihm im Vorbeigehen mit einem fast verachtenden Blick streifte und den Kopf schüttelte. Erik hörte, wie sie irgendetwas von der „Jugend von heute“ murmelte und hätte sie am liebsten in Stücke gerissen. Er steckte sich die Kopfhörer seines Mobiltelefons ins Ohr und erhöhte die Lautstärke bis aufs Maximum. Es war ihm egal, dass er wahrscheinlich mit spätestens 80 Jahren taub sein würde.

Gute Musik muss man laut hören!

 

Er entschied sich für seine Industrial-Playlist. Die hämmernden Rhythmen und provokanten Texte waren genau das, was er jetzt brauchte!

 

Die Band Combichrist war gerade dabei die Namen verschiedener Serienmörder aufzuzählen – er liebte das Lied „God Bless“ – da war es Zeit für ihn auszusteigen.

Er machte den Musikplayer seines Handys aus und ging die wenigen hundert Meter bis nach Hause langsam. Er wollte sich nicht schon wieder mit seiner Mutter streiten, nur weil er geladen nach Hause kam.

Vielleicht beruhig ich mich ja ein wenig, bis ich zu Hause bin.

 

Kurz bevor er die Haustür erreichte, ging Anna an ihm vorbei und seine Stimmung verbesserte sich ein wenig. Anna war seine beste Freundin. Er empfand für sie eine große Zuneigung, aber mehr nicht. Zumindest glaubte er das. Vielleicht hatte Erik auch einfach Angst vor der Enttäuschung, wenn sie ihn abwies und gestand sich deshalb nicht mehr Gefühle für sie ein.

 

„Hey Erik. Wie geht’s dir?“, fragte Anna besorgt. Ihr war Eriks Anspannung nicht entgangen.

„Geht so“, erwiderte er wahrheitsgemäß. „Die Leute im Bus haben mich schon wieder angestarrt als sei ich der Leibhaftige. Wird Zeit, dass meine Maschine aus der Werkstatt zurückkommt.“

„Du Armer“, entgegnete sie und umarmte ihn dabei. „Ich muss dann mal los.“

Sie hauchte ihm einen flüchtigen Kuss auf die Lippen und beschleunigte ihre Schritte.

What the fuck…!

„Wir schreiben nachher!“, rief sie aus einigen Metern Entfernung.

„Äh…ja, OK…“, antwortete Erik, immer noch verwirrt.

Was zum Teufel war denn das!

Gedankenverloren öffnete er die Tür.

„Bin zu Hause, Mum!“

Erik wohnte bei seiner Mutter. Seine Eltern waren seit acht Jahren geschieden. Vor vier Jahren hatte Eriks Vater den Kontakt zu beiden abgebrochen. Den Grund hatte Erik schon längst vergessen. Er konnte seinen Vater eh nie leiden.

 

„Wie war dein Schultag?“, fragte seine Mutter. Eine Frage, die mittlerweile Routine war. Erik fragte sich manchmal, ob es sie tatsächlich interessierte, wie sein Schultag war. Was würde sie sagen, wenn er ihr irgendwann bis aufs Kleinste von jeder vergangenen Minute in der Schule berichtete?

„Ganz OK“, sagte er anstatt es darauf ankommen zu lassen. „Hab Applaus für mein Gedicht geerntet.“

„Oh, sehr schön!“, war die ehrlichgemeinte Antwort seiner Mutter. „Was habt ihr an Hausaufgaben auf?“

„Nichts.“

„Wie, nichts?“

„In den ersten beiden Stunden haben wir die Gedichte vorgetragen, in der dritten und vierten Stunde hatten wir Sport, in der fünften und sechsten zwei Lehrer in Vertretung und die siebte und achte Stunde hatten wir frei.“

„Und warum bist du erst jetzt zu Hause?“

„War noch mit Phil im Musikladen. Der hat da die Ken Lawrence-Explorer von James Hetfield. Nicht von Ken Lawrence, sondern ein Nachbau, aber sie sieht genauso aus. Ich hab sie mal angespielt: die klingt so geil!“

„Nein.“

„Och Mum, bitte! Sie kostet nur 1500 Euro!“

„Nein!“

„Von Ken Lawrence würd sie locker das Dreifache kosten, wenn nicht mehr!“

„Na gut…“, ergab sich seine Mutter mit einem Seufzer der Resignation.

Das war ja leicht.

 

Zwanzig Minuten später stürmte Erik voller Vorfreude in den Musikladen…und musste mit ansehen, wie sie gerade von einem Herrn von gut 30 Jahren gekauft wurde.

Super, mein Tag is ma wieder voll im Arsch.


Avatar Rabenfeder

Geschrieben von Rabenfeder [Profil] am 19.01.2011

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Kommentare und Punkte zu diesem Gedicht

 HB Panther 19.01.2011, 17:47:39  
Avatar HB PantherMensch rabenfeder, klopfe dir eben auf die schulter, leider lässt es unsere Zeit noch nicht zu, ansonsten hole ich es in 20-30 jahren nach. Du bist nicht nur ein guter dichter, nein auch ein guter autor, ich bin sehr beeindruckt und hoffe du bekommst genug bewertungen, die das bestätigen-also leute, los los :-) Die interessen von erik teile ich zwar nicht, kennst mich ja rabenfeder :-) Aber die geschichte bis zu diesem teil, ist super interessant und super geschrieben. Ach mein freund weißt du was? Ich glaube wir müssen beide mal in den ring :-) wenn du verstehst wie ich das meine :-)

 HB Panther 19.01.2011, 17:49:21  
Avatar HB Panthersorry muß es nochmal schreiben, nachdem ich kurz meine tastatur ruhen lassen hab--ganz ganz toll!!!

 Rabenfeder 19.01.2011, 18:35:08  
Avatar RabenfederWas mir halt dezent gegen den Strich geht, ist die Tatsache, dass die Seite hier keine Formatierungen übernimmt. Ich hatte zum Beispiel alles, was die jeweiligen Charaktere nur denken, in kursiver Schrift verfasst. Naja, wenigstens ist das Denken an dem Wechsel von der Er/Sie- in die Ich-Form zu erkennen.

 HB Panther 19.01.2011, 18:46:24  
Avatar HB PantherSehr geehrter herr rabenfeder, bitte berichten sie das doch den admin :-) Das es wohl wenig bringen würd, weiß ich selber. Ich habe in schon einige mails geschickt, mit verbesserungsvorschlägen, die sogar sehr gut waren, bestimmt auch dir gefallen hätte. Was ich mir hier auch sehr gut vorstellen könnte, das man verschiedene melodien mit hinzufügen könnte. Währe doch wunderbar, wenn leise, sobald man dein gedicht anklickt, eine melodie zuhören ist, oder???

 Rabenfeder 19.01.2011, 20:06:42  
Avatar Rabenfederfür was eine melodie? wenn ein gedeicht gut ist, brauch es keine traurige melodie im hintergrund, nur weil es traurig ist. dann ist es auch in der lage von selbst trauer hervorzurufen. das ist genauso wie mit den dokumentationen über das Dritte Reich, in denen ein bild von adolf hitler gezeigt wird und im hintergrund eine melodie ertönt, die uns sagt "Dieser Mann ist BÖÖÖÖÖÖÖÖSE!!!!!" Ich vermute einfach mal, dass ein Mensch, der seine Intelligenz noch nicht ganz verloren hat, von selbst drauf kommt, dass ein mann, in dessen namen millionen von menschen starben, nicht gerade die güte in person ist.

 HB Panther 19.01.2011, 20:17:21  
Avatar HB PantherDu hast recht!

 magier 20.01.2011, 10:26:58  
Avatar magiersehr gut... 5 pkt

 Rabenfeder 26.01.2011, 14:05:10  
Avatar Rabenfeder@Mama Mia: Wie dir eventuell aufgefallen ist, ist dies hier die Geschichte, die ich vor einiger Zeit bereits hier veröffentlichte. Und wie du als intelligenter Mensch sicherlich weißt, folgt auf die 1 meist die 2, weswegen du davon ausgehen kannst, dass diese Geschichte mindestens 2 Kapitel hat (de facto hat sie zur Zeit 3, siehe mein Profil; dort sind sie hochgeladen). Und Kurzgeschichten haben meines Wissens nach eher selten mehr als ein Kapitel.

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